Assozialer Politiker.
EKLAT BEIM FRÜHSCHOPPEN
JU-Chef Mißfelder teilt gegen Arbeitslose aus
Von Sebastian Fischer
Empörung über Philipp Mißfelder: "Die Erhöhung von Hartz IV war ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie", soll der Chef der Jungen Union bei einem Frühschoppen im Westfälischen gesagt haben. Er habe nur auf Missstände hinweisen wollen, relativiert der CDU-Politiker seine Aussage inzwischen.
Berlin - Es war ein lange vereinbarter Termin im heimischen Wahlkreis. Philipp Mißfelder, CDU-Präsidiumsmitglied und Chef der Jungen Union (JU), hatte seiner Partei im westfälischen Haltern diesen Besuch versprochen. "Wir schätzen ihn sehr, er sucht Kontakt zur Basis", sagt Bruno Kleine Stegemann, Vorsitzender des CDU-Stadtverbands Haltern am See.
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JU-Chef Mißfelder: "Ich will keine Hartz-IV-Empfänger diffamieren, sondern auf Missstände hinweisen"
Vergangenen Sonntag kam Mißfelder dann zum Frühschoppen ins Hotel Himmelmann in den Ortsteil Lippramsdorf. "War gut besucht, 40 bis 45 Leute", erinnert sich Kleine Stegemann. Mißfelder habe eine "größere Rede" gehalten.
Und darin fiel dann irgendwann dieser Satz.
"Ich hab nur gedacht: Um Gottes Willen!", so Kleine Stegemann zu SPIEGEL ONLINE. Da hatte der JU-Chef gerade seine Attacke gegen Arbeitslose geritten: "Die Erhöhung von Hartz IV war ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie."
zu SPIEGEL WISSEN So berichteten es nachher die "Ruhr Nachrichten". Kleine Stegemann bestätigt den Satz: "Er hat das so gesagt." Diskutiert worden sei der Ausspruch beim Frühschoppen im "Hotel Himmelmann" aber nicht, erinnert sich der CDU-Mann. Möglicherweise weil es eben nur ein Zitat in dieser längeren Rede gewesen sei. Er würde solch einen Satz "auch nicht unterschreiben", sagt Bruno Kleine Stegemann.
Mißfelder bestätigte inzwischen den Bericht der "Ruhr Nachrichten" - und relativierte seine umstrittenen Äußerungen. "Es geht nicht um eine Herabsetzung von Hartz-IV-Empfängern, die häufig unverschuldet in ihre Lebenssituation geraten sind", sagte er. Ihm gehe es darum, "dass das Geld bei den Kindern ankommt. Und da habe ich große Zweifel, ob die Unterstützung zielgenau ist".
Der "Leipziger Volkszeitung" sagte Mißfelder, in einer Demokratie könne "nicht jede problematische Diskussion immer gleich mit Konsens beginnen, sonst gibt es keinen Diskurs". Er würde seinen kritisierten Satz jedenfalls nicht ständig wiederholen: "Es geht um den richtigen Zusammenhang und nicht um einen einzelnen Satz. Wir brauchen aber eine Diskussion über die Frage, wie mit sozialen Leistungen der Allgemeinheit von den Betroffenen umgegangen wird." Leider kämen diese häufig nicht zielgenau an.
Der Halterner CDU-Vorsitzende Kleine Stegeman sagte, wenn er Mißfelder einen Rat geben könne, dann diesen: "Mein lieber Philipp, sei vorsichtig mit dem, was du sagst." Manchmal sei der 29-jährige JU-Chef "noch impulsiv, eben noch kein glattgeschliffener Kieselstein". Aber er müsse wissen, welche Beachtung man seinen Worten schenkt: "Er ist kein Nachwuchspolitiker mehr, sondern Mitglied des Präsidiums", so der 59-jährige Kleine Stegemann.
Sozialverbände äußerten sich empört. Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) bezog Mißfelders Äußerung auf die Erhöhung des Regelsatzes für Kinder zum 1. Juli. Die Aussage des CDU-Politikers bezeuge "eine völlige soziale Inkompetenz", sagte Bundesvorstand Rainer Brückers den "Ruhr Nachrichten". Der Sozialverband Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen, erklärte, die Politik sei "dringend gefordert, die Ursachen von Armut und Ausgrenzung zu bekämpfen, anstatt sozial benachteiligte Menschen zu diffamieren".
Juso-Chefin Franziska Drohsel kritisierte Mißfelder scharf: "Alle Hartz-IV-Empfänger zu Alkoholikern und Nikotinsüchtigen zu erklären, zeigt deutlich seine fehlende soziale Kompetenz und sein mangelndes Verständnis für die Probleme der Menschen." Der "Sozialchauvinismus" der Jungen Union sei unerträglich. Die JU versuche gezielt, ein falsches Bild von der Lebensrealität arbeitsloser Menschen zu zeichnen.
Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Brigitte Pothmer, sagte, Mißfelder sei "ein Anschieber für diskriminierende Stimmungsmache. Seine Stammtischparolen gegen Arbeitssuchende sind unerträglich und müssen Konsequenzen haben". Die CDU-Spitze um Kanzlerin Angela Merkel müsse handeln: "Als Wiederholungstäter dürfte ihm von seiner Parteiführung kein Pardon mehr gewährt werden. Sein Welpenschutz ist abgelaufen", so Pothmer.
Wenn ihn Partei und Fraktion seine Ämter und Funktionen behalten ließen, "dann machen sie damit deutlich, dass Hetze gegen Arbeitssuchende in der Union nach wie vor zum guten Ton gehört". Die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Kathrin Henneberger, forderte eine Entschuldigung für die "unglaubliche Diskriminierung" seitens des JU-Vorsitzenden.
Die Hartz-IV-Äußerung ist bereits Mißfelders zweiter verbaler Fehlgriff. Im Sommer 2003 hatte er kritisiert, dass 85-Jährige noch neue Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen. Er wollte damit darauf hinweisen, dass die junge Generation die demografischen Lasten zu tragen hat. Wenige Tage später entschuldigte er sich: "Es tut mir leid, dass ich Gefühle verletzt habe."
Quelle Spiegel Online